Archiv:AsD (1997). Interview mit Wolf Vogel

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Interview des AsD mit Wolf Vogel, Autor des neu erschienen Buches Heimliche Liebe - Eros zwischen Knabe und Mann

Autor: AsD / Wolf Vogel
Quelle: AGPRNP (1997). Aufklären statt Diskriminieren bzw. Weblink des Interviews

Wolf Vogel, Jahrgang 1943, studierte Pädagogik, Psychologie und Geschichte. Abschluß als Diplom-Sozialpädagoge. Mehrere Buchveröffentlichungen und Buchbeiträge. Arbeitet als Fotoreporter für Zeitungen und Zeitschriften.


AsD: Sie haben in Ihrem Buch "Heimliche Liebe" Berichte erwachsener Männer geschildert, die in ihrer Kindheit Liebesbeziehungen zu Erwachsenen hatten und daran noch immer gern zurückdenken. Was hat Sie veranlaßt, solche Erfahrungsberichte zu sammeln?

Mitte der achtziger Jahre erreichten uns einige Sachbücher und Storys aus den USA, die das Thema "Sexueller Mißbrauch" von Kindern aufgriffen. In allen Berichten war zu lesen, daß Sexualität zwischen Volljährigen und Minderjährigen die jüngeren Partner stets schädigen würde. Mir kamen dabei Zweifel. Ich bildete mir ein, daß es solche Liebesbeziehungen - auch mit mehr oder weniger starken sexuellen Anteilen - geben müßte, bei denen kein Schaden feststellbar sei.

AsD: Faßten diese Zweifel auf eigenen Erfahrungen?

Nun, zum einen war ich selbst ein Kind gewesen mit den üblichen erotischen Wünschen und Begierden, zum anderen läßt sich auch bei heutigen Kindern leicht feststellen, daß sie sexuelle Kontakte suchen, auch zu Erwachsenen. Wir müssen nur den Mut haben, vorurteilsfrei zu beobachten. Im Prinzip haben sich Kinder seit Jahrhunderten nicht verändert, soweit es ihre sexuelle Lust betrifft. Es gibt beispielsweise Dokumente, nach denen im 13. Jahrhundert die Kinder ab etwa acht oder neun Jahren von ihren Beichtvätern gezielt nach sexuellen Aktivitäten befragt worden sind. Ich habe dies ausführlich in meinem Buch "Verwerflicher noch als Exzesse mit Frauen - Texte gegen die Onanie von Augustinus bis zur Gegenwart" zitiert. Freilich sind die kindlichen Sexspiele längst vor der Zeit, die wir als europäisches Mittelalter nennen, gang und gebe gewesen. Solange es Menschen gibt, gibt es - zum Glück für uns alle - den starken Drang, Sexualität in nahezu allen Spielarten erleben zu wollen (wenn wir uns denn trauen!), und da machen Kinder und Jugendiche selbstverständlich keine Ausnahme.

AsD: Es gibt aber bereits Untersuchungen über kindliche Sexualität und Sexualverhalten und über erotische Beziehungen zwischen Kindern und Erwachsenen?

Das stimmt, aber es gab vor meiner Untersuchung in der gesamten Literatur noch kein Buch, das sich mit der Stellungnahme der kindlichen Partner, nachdem sie selbst erwachsen geworden waren, befaßte. In allen vorliegenden Untersuchungen kommen entweder die Kinder zum Zeitpunkt der Beziehung oder die jeweiligen erwachsenen Partner zu Wort. Kritiker werfen solchen Untersuchungen Parteilichkeit vor, aber auch, daß durch geringe Distanz vom Erlebten die Beziehung ein wenig verklärt gesehen werden könnte. Ich vermag mich diesen Einwänden nicht immer anzuschließen, wollte aber gerade die noch nicht ausgeleuchtete Seite solcher Liebesbeziehungen näher betrachten.

AsD: Für wen wollen Sie zum Anwalt werden - für das Kind oder für den Erwachsenen?

Für keinen von beiden. Mein Motiv für das Buch "Heimliche Liebe" war weder Solidarität für die Kinder noch Verständnis für die Erwachsenen, sondern journalistische Eitelkeit. Jeder Autor möchte ein Buch bringen, das es noch nicht gibt. Das ist mir nun gelungen.

AsD: Wie sind Sie vorgegangen, um Menschen zu finden, die Ihnen ihre erotischen Erlebnisse aus der Kindheit erzählen?

Ich habe in zwei überregionalen Zeitungen der damaligen Bundesrepublik inseriert. In der Anzeige wurden Frauen und Männer gesucht, die als Kind eine erotische Beziehung zu einem Erwachsenen hatten und an diese Beziehung noch immer gern zurückdenken.

AsD: Haben sich auf diese Anzeige nur Männer gemeldet?

Nein, aber überwiegend. Ein paar Frauen fragten eher aus Neugier an. Ein verwertbares Interview oder Gespräch mit einer Frau, die als Mädchen eine Liebesbeziehung zu einer Frau oder zu einem Mann hatte, kam leider nicht zustande. Das lag nicht daran, daß die Frauen nichts zu erzählen gehabt hätten. Aber sie sahen ihre damalige Beziehung für nicht so bedeutsam an, daß sie nun aller Welt Details daraus offenlegen mochten. Dieses Phänomen habe ich übrigens auch bei männlichen Gesprächspartnern erlebt. Oft mußte ich die Frage hören, was denn das Besondere, das Berichtenswerte an einer solchen damaligen Beziehung sei.

AsD: Offensichtlich kamen Sie aber mit genügend Menschen in Kontakt, daß es für ein Buch reichte?

Mit dem gesammelten Material aus Berichten, Gesprächen, Interviews und Briefen hätte ich auch zwei Bücher machen können. Aber nach einigen Gesprächen hatte ich das Gefühl, daß Gedächtnislücken mit Vermutungen aufgefüllt wurden, oder daß sich ein paar Übertreibungen eingeschlichen haben könnten. Wie gesagt: es waren meine Vermutungen. Aber ich habe solche Berichte rigoros aus dem Buch gelassen. Eine solche Thematik wie in "Heimliche Liebe" muß seriös bearbeitet werden, sonst glaubt der Leser dem Autor nicht. Um die Seriosität nicht zu relativieren und um den Gesprächspartnern gegenüber fair zu sein, habe ich allen Befragten von Beginn an zugesichert, die Texte vor Drucklegung noch einmal gegenlesen zu dürfen. Dieses Angebot haben denn auch alle dankbar angenommen und meinen Ursprungstext gelegentlich auch korrigiert, weil ich etwas falsch verstanden hatte. Drei Interviewpartner überkam dabei - sozusagen in letzter Minute - die Angst vor der Veröffentlichung. Sie zogen ihre Abdruckerlaubnis zurück. Ich habe dies selbstverständlich respektiert, auch wenn ich aus journalistischer Sicht ein wenig traurig darüber war.

AsD: Wie lange haben Sie an dieser Sammlung gearbeitet?

Zehn Jahre. Danach suchte ich zwei Jahre lang einen Verlag. Der derzeitige Mut der deutschen Verlagen ist bei diesem Thema sehr gering, obgleich die meisten Verlage höflich schrieben, ich habe ein hochinteressantes Thema anzubieten. Aber individuelle Feigheit ist heute häufig zu beobachten.

AsD: Die "Heimliche Liebe" ist kein trockenes statistisches Werk. Wollten Sie das ursprünglich so?

Ja. Es sollte ein spannend zu lesendes Buch werden. Deshalb habe ich Berichte, die anderen sehr ähnlich waren, weggelassen. Voyeure sollten nicht bedient werden. Ich wollte ein Lesebuch für unerschrockene, aber auch erschrockene Eltern und Erzieher machen. Der literarische Grundsatz lautete: "Alles, was man sagen will, soll man einfach sagen. Wenn man es nicht einfach sagen kann, soll man schweigen."

AsD: Sind die geschilderten Berichte Ausnahmefälle?

Das weiß ich nicht. Ich brauche weder statistische Mehrheiten noch Minderheiten, und schon gar keine "Dunkelziffern". Wer mit nicht beweisbaren Zahlen argumentiert, handelt unredlich. Er verkauft eine falsche Ware. Wer wider besseres Wissen mit falschen oder gar erfundenen Zahlen in der Öffentlichkeit jongliert, ist ein Betrüger.

AsD: Was sind die Gründe, warum Jungen Interesse an Liebebeziehungen zu Erwachsenen haben können?

Sehr einfach zu beantworten: Sexuelle Neugier und sexuelle Lust. Warum sollten Kinder und Jugendliche ausgerechnet bezüglich ihrer Sexualität nicht mit Erwachsenen kommunizieren wollen? Sie gehen mit Erwachsenen ins Kino, gehen Essen oder fahren in Urlaub - und zwar nicht nur aus ökonomischen Zwängen heraus, sondern weil es oftmals spannender und lehrreicher ist. Vor 2000 Jahren hätte eine solche Frage ungläubige Heiterkeit ausgelöst. Ich werde in einem Buch, an dem ich gerade arbeite, nachweisen, daß es Liebesbeziehungen (einschließlich Sexualität) zwischen alten und jungen Menschen seit mindestens 4000 Jahren gibt. Und noch etwas, und das ist meine persönliche Meinung: Wir brauchen dringend eine neue Jungen- Kultur. Ein Junge wird bis etwa zu seinem zehnten Lebensjahr fast ausschließlich von Frauen erzogen (Erziehung nach der Geburt, Kindergarten, Grundschule). Das kann nicht gut sein. Die Entwicklungspsychologie sagt, daß bis zu diesem Alter alles Wesentliche grundgelegt ist. Der Junge muß weibliche, aber auch männliche Kultur erfahren und erlernen, sonst wird er sich später falsch verhalten. Er muß Zärtlichkeit und Strenge, Geborgenheit und Lebensweisheit von Männern und Frauen erhalten, wenn die Erziehung gelingen soll. Es ist geradezu ein Treppenwitz unserer Zeit, wenn die Feministinnen, die den Knaben am liebsten von allen Männern fernhalten und die Erziehung allein in die Hand nehmen möchten, darüber klagen, daß es noch nie so viele kleine Machos wie heutzutage gegeben habe.

AsD: Welches Umfeld muß vorliegen, damit ein Kind in einer Liebesbeziehung zu einem Erwachsenen keinen Schaden nimmt?

Es gibt kein pädagogisches Lehrbuch, und als Journalist maße ich mir keine pädagogische Kompetenz an, auch wenn ich über ein diesbezügliches Diplom verfüge. Beim Lesen der Berichte und Briefe in "Heimliche Liebe" wird sehr schnell klar, daß in allen Umfeldern Liebe gedeihen und mißlingen kann - zwischen Kindern, zwischen Erwachsenen und zwischen Groß und Klein. Am schlimmsten für das Kind ist wohl die Hysterie der Erwachsenen, denen es - vielleicht in kindlicher Naivität - von erotischen Erlebnissen erzählt. Wenn die Erwachsenen entsetzt sind oder schnurstracks zur Polizei laufen, womöglich gegen das Interesse des Kindes, erlebt das Kind einen grundsätzlichen Vertrauensbruch in seinem Verhältnis zu einem erwachsenen Menschen, der ja ein Vorbild des Kindes sein möchte und soll.

AsD: Wie reagiert die Öffentlichkeit auf "Heimliche Liebe"?

Sie hat das Erscheinen bislang charmant verschwiegen. Aber das Buch ist ja erst seit kurzem auf dem Markt, und im Herbst findet wieder eine Buchmesse statt. Vielleicht wachen die Medien dann auf.

AsD: Warum wird Ihre Thematik - geglückte Liebesbeziehung zwischen Kind und Erwachsenem - einer größeren Öffentlichkeit meist vorenthalten?

1. Die Leute lieben nicht den Menschen, sondern den Skandal.
2. Man ist neidisch auf jemanden, der sich offenbar Freuden verschaffte, die einem selbst verwehrt sind.
3. Religiöse Gründe
Wenn ein "Mißbrauchsprozeß" mit einem Freispruch endet, müßten sich doch alle Beteiligten vor Freude in den Armen liegen, weil - gerichtlich oft sehr lange geprüft - kein Mißbrauch stattgefunden hat. Was aber geschieht? Die Leute beschimpfen das Gericht. Dieses Phänomen veranlaßt mich zu der Frage: Brauchen wir am Ende gar den sexuellen Mißbrauch? Brauchen ihn die Polizisten, Staatsanwälte und Richter, um in der Öffentlichkeit brillieren zu können? (Niemand wird ihre Vorgehensweise kritisieren.) Die Gutachter, um billig an teure Honorare zu kommen? Die Frauen, um gegen die Männer zu wettern? (Alle andere Themen, einschließlich Paragraph 218, haben nie die Frauen geeint.) Die Haupt- und Ehrenamtlichen in den Beratungsstellen? (Arbeitslosigkeit betrifft alle Berufe.) Brauchen ihn wir befangenen "normalen" Bürger, um unser Gewissen zu beruhigen, unsere Triebe umzulenken, unser Versagen an Kindern zu kaschieren? Gern möchten wir solche Gedanken abwehren. Denn wenn es so wäre, wären die Kinder die größten Verlierer eines Spektakels, das sich verrückterweise "Kinderschutz" nennt.