§ 176 StGB (Deutschland)

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Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 - 176, 182 u. 184 ff.)



Einleitung

Die Unübersichtlichkeit und Kompliziertheit des 13. Abschnitts des StGB hat in den letzten Jahren (seit ca. 1989) infolge zahlreicher Veränderungen/Verschärfungen rasant zugenommen[1]. Selbst im Koalitionsvertrag vom 11.11.2005 war eine "grundlegende Reform" des Sexualstrafrechts vereinbart worden [2]. Dazu kam es jedoch nicht. In einem juristischen Lehrbuch ist sogar die Rede davon, dass das Sexualstrafrecht zum Modethema geworden sei. Das Aufheizen des Themas durch die Medien hat mit zur weiteren Verschärfungen bestehender Gesetze und zur Schaffung neuer Sexualdelikte geführt[3].

Der Artikel versucht, denjenigen die eventuell mit der Vorschrift in Konflikt stehen, oder auch im politischen Bereich damit befasst sind, ein klares und verständliches Bild zu geben. Wir wollen denjenigen Informationen an die Hand geben, denen die finanziellen Mittel für einen qualifizierten Strafverteidiger fehlen oder die mit ihrem Strafverteidiger über die richtige Stratgie im Gespräch sind.

Der adäquate (=angemessene) Umgang mit dem Strafjustizsystem, angefangen vom Durchsuchungsbefehl über die vorläufige Festnahme, Untersuchungshaft, Gerichtsverhandlung bis hin zum Eintritt in eine Justizvollzugsanstalt, wird hier ebenfalls ausführlich behandelt.

Das geschützte Rechtsgut des §176 wird in der Literatur auf zweierlei Weise angegeben:

1. geschützt ist die ungestörte sexuelle Entwicklung des Kindes (Person unter 14 Jahren)

2. geschützt ist die von sexuellen Handlungen ungestörte Entwicklung des Kindes

Dem liegen die Entwicklungspsyhologischen Annahmen zugrunde, dass sich die sexuelle Identität einer Person und damit ihrer Fähigkeit, über ihr sexualverhalten zu bestimmen, als Teil der Gesamtpersönlichkeit [endogen, d.h. aus sich heraus] entwickelt und dass äußere, fremdbestimmte Eingriffe in die kindliche Sexualität in besonderer Weise geeignet sind, diese Entwicklung zu stören.[4]

Der Gesetzgeber geht hier von einer Annahme aus, die bestimmte als "wahr" erachtete Paradigmen (Denkmuster) voraussetzt.

Das Recht der Achtung seiner Intimsphäre und der sexuellen Selbstbestimmung des Kindes soll geschützt werden. Das Wissen um die soziale Bedeutung von sexuellen Handlungen ist Kindern nicht bekannt. Kinder sind nicht in der Lage eigene Interessen durchzusetzen, weil sie im Gegensatz zu Erwachsenen und Jugendlichen Machtunterschieden unterliegen[5].

Juristen beobachten seit geraumer Zeit sowohl härtere Strafen gegen sogenannte "Kinderschänder" als auch verstärkt sexualisierte Darstellung von Minderjährigen in Werbung und Unterhaltung. Diese Widersprüchlichkeit äußert sich auch in widersprüchlichen Gesetzesverschärfungen bis hin zu Diskussionsverboten[6].

So hieß es, es sei den Opfern nicht zumutbar, wenn vor Gericht erörtert(!) werde, ob(!) ein minder schwerer Fall gegeben sein könnte[7].

Bei anderen (qualifizierten) Straftaten hat derselbe Gesetzgeber diese (fast schon abwegig erscheinende) Besorgnis nicht gehabt. Weiterhin werden irrationale Spekulationen über das Dunkelfeld festgestellt (bei gleichzeitigem Rückgang der Zahlen angezeigter Taten, obwohl die Anzeigeschwelle sinkt)[8].

Der Leipziger Großkommentar ist in seiner Begründung ausführlicher:

Bei allem Verständnis für ein Opferinteressen Rechnung tragendes Strafrecht: Diese Argumentation ist absurd. Opfer werden gekränkt, wenn Unrecht nicht angemessen gewertet, d.h. sachwidrig zu niedrig angesetzt wird, nicht aber, wenn objektiv geringes Erfolgsunrecht auch als solches bezeichnet wird.[..] Dieses Reformen bedeuten einen Schritt zurück in Richtung des überwundenen geglaubten Rechtsgut "Sittlichkeit"[9].
::: Kurzfassung :::
In den letzten Jahren hat das Sexualstrafrecht auf Druck der Öffentlichkeit und der Medien eine enorme undurchschaubare Komplexität erhalten[1][3]. Der Gesetzgeber geht bis heute davon aus, dass jede Form einer als sexuell definierten Handlung für die sexuelle Entwicklungen von Kindern schädlich ist[4][5]. Ein Fall der vom Normallfall der jeweiligen Rechtsnorm in erheblicher Art und Weise abweicht (= minder schwerer Fall), wurde in §176 StGB aus folgenden Grund abgeschafft: "[..]Es sei Opfern nicht zumutbar, wenn vor Gericht erörtert(!) werde, ob(!) ein minder schwerer Fall gegeben sein könnte[..]", hiess es in dem Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 28. 01. 2003[7].

Entwicklungsgeschichte

Übersicht im 13. Abschnitt des StGB

§174

§§176, 176a u. 176b

Das Rechtsgut der Tat ist ein abstraktes Gefährungsdelikt. Der § 176 soll die Möglichkeit zur freien Entwicklung sexueller Selbstbestimmungsfähigkeit von Kindern (Personen unter 14 Jahren) schützen. Die Vorschrift legt eine absolute Grenze für den sexualbezogenen Umgang mit Kindern fest. Diese Grenze liegt bei 14 Jahren. Unterhalb dieser Grezen sind alle sexuellen Kontakte ausnahmslos verboten. Dies gilt auch für solche Kontakte zwischen knapp über 14-Jährigen mit knapp unter 14-Jährigen. Als Schutzgut kann hier die kindliche Gesamtentwicklung angesehen werden. Hierbei wird angenommen, dass sich die sexuelle Identität einer Person und damit die Fähigkeit über ihr Sexualverhalten selbst zu bestimmen erst als Teil der Gesamtpersönlichkeit entwickelt. Weiterhin nimmt man an, dass fremdbestimmte Eingriffe in diese Entwicklung stören könnten; jedoch nicht zwingend müssen. Der Gesetzgeber sieht Kinder dabei nicht als grundsätzlich als einwilligungsunfähig an, da ihnen die Fähigkeit zum Widerstand gegen sexuelle Handlungen zugebilligt wird. Jegliche positive Einwilligung in Handlungen mit sexuellem Charakter ist jedoch ausnahmslos unwirksam[10].

Opfer einer Tat kann nur ein Kind (Person unter 14 Jahren) sein. Auf die sexuelle Erfahrneheit kommt es dabei ebensowenig an wie auf den Umstand, ob das Kind die sexuelle Handlung überhaupt wahrnimmt oder ob das Kind der sexuellen Handlung bewusst zustimmt. Das Gesetz will die Entwicklung von Kindern insgesamt und ausnahmlos von sexuellen Erlebnissen freihalten [11].

Der Umfang des möglichen Strafrahmens schließt die vom Gesetzgeber erwarteten typischen Schädigungen durch die Tat mit ein. Der Eintritt solcher Folgen kennzeichnet jedoch nicht den Durchschnittsfall. Derartige Schädigungen können daher strafschärfend gewertet werden. Der Normalfall bei abstrakten Gefährungsdelikten ist die Ungewissheit über die konkreten Folgen der Tat. Daher könnten tatsächlich eintretende Folgen entsprechend ihres Umfangs strafschärfend gewertet werden. Das Ausbleiben jeglicher Folgen bzw. Schädigungen kann strafmildernd gewertet werden. Allein die "allgemeine Gefahr" nachhaltiger Beeinträchtigungen darf nicht strafschärfend gewertet werden[12].

Bestimmender Strafzumessungsgesichtspunkt kann das Gewicht der sexuellen Handlung im Hinblick auf ihre konkrete Wirkung auf das Kind sein. Problematisch ist die Auffassung, dass der Tatrichichter bei der Strafzumessung auch rechtspolitsche Tendenzen in der EU und neurere Erwägungen des Gesetzgebers berücksicht, die zum Tatzeitpunkt noch nicht bestanden haben[13].

§182

§184

Die Vorschrift soll sowohl einzelne Jugendliche als auch Erwachsene schützen, die mit Pornographie konfrontiert werden könnten. Sie wurde geschaffen, obwohl die angehörten Wissenschaftler im Gesetzgebungsverfahren das Risiko für eine Gefährdung Jugendlicher überwiegend als gering eingeschätzt hatten. Schädliche Auswirkungen wurden durchweg als in der Regel nicht wahrscheinlich angesehen. Völlig auszuschließen waren negative Auswirkungen jedoch nicht, so dass eine auf Jugendschutz ausgerichtete Regelung gerechtfertigt erschien, nicht jedoch ein Totalverbot. Auf dieser Grundlage wurde das abstrakte Gefährdungsdelikt der Pornografie errichtet. Natürlich kann niemand irgendetwas völlig ausschließen und mit diesem Trick haben die Politiker bis heute ihren Pornografieparagrafen durchgesetzt.

Der Gesetzgeber unterscheidet außerdem im §184 zwischen harter und weicher Pornographie. Insbesondere sadistische Pornographie zählt zur harten Pornographie. Die Entwicklung von Jugendlichen wurde hier ebenfalls als gefährdet angesehen. Auch an dieser Stelle konnten keine wissenschaftlichen Befunde der Annahme zu Grunde gelegt, aber eine Gefährdung auch nicht völlig ausgeschlossen werden.

Trotz wissenschaftler Bedenken, sah der Gesetzgeber die Novellierung als gerechtfertigt an [14].

§66 Abs. 3 (Sicherungsverwahrung) in Verbindung mit §176 ff.

Rechtsfolgen nach dem Bestimmungen des §§ 174 - 176, 182 u. 184 ff. StGB

§68 ff. StGB (Führungsaufsicht)

§68b Weisungen

§145a Verstoß gegen die Weisungen während der Führungsaufsicht

Schlussbemerkung

Abkürzungen

BewH
Bewährungshilfe
BGH
Bundesgerichtshof (Zitiert nach Band und Seite)
BT-Drs
Bundesdrucksache (Zitiert nach Wahlperiode und Drucksache)
FührungsA
Führungsaufsicht
Rd.
Randnummer
RegE
Regierungsentwurf
StGB
Strafgesetzbuch
SV
Sicherungsverwahrung / Sicherungsverwahrter
StA
Staatsanwaltschaft
StS
Strafsenat
Vor
Vorbemerkung

Zitate/Quellenangaben

Quellen

  1. 1,0 1,1 Vor §174 Rd. 3b; Beck'sche Kurz Kommentare - Strafgesetzbuch und Nebengesetze, 56. Auflage, Verlag C.H. Beck München 2009, von Dr. Thomas Fischer, Richter am Bundesgerichtshof.
  2. Ziff. XIII 2.1, S.140 (alt) Zeile 5891, S. 120 (aktuell: http://www.cdu.de/doc/pdf/05_11_11_Koalitionsvertrag.pdf)
  3. 3,0 3,1 Strafrecht Besonderer Teil, 2. Auflage 2009, Lehrbuch, Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, Verlag Ernst und Werner Gieseking * Bielefeld, Rd. 1, Seite 295
  4. 4,0 4,1 §176 Rd. 2., ebenda
  5. 5,0 5,1 Strafgesetzbuch Leipziger Kommentar, Großkommentar, Sechster Band, §§ 146 bis 210, 12. Auflage, Verlag: De Gruyter Recht * Berlin 2009, Rd. 3-4, Seite 853
  6. Beck'sche Kurz Kommentare - Strafgesetzbuch und Nebengesetze, 56. Auflage, Verlag C.H. Beck München 2009, von Dr. Thomas Fischer, Richter am Bundesgerichtshof. Rd. 2a, S. 1173
  7. 7,0 7,1 BT-Drs. 15/350. Bundestagsdrucksache. 15. Wahlperiode vom 28.01.2003
  8. Beck'sche Kurz Kommentare - Strafgesetzbuch und Nebengesetze, 56. Auflage, Verlag C.H. Beck München 2009, von Dr. Thomas Fischer, Richter am Bundesgerichtshof. Rd. 2a, S. 1173
  9. Strafgesetzbuch Leipziger Kommentar, Großkommentar, Sechster Band, §§ 146 bis 210, 12. Auflage, Verlag: De Gruyter Recht * Berlin 2009, Seite 851
  10. Beck'sche Kurz Kommentare - Strafgesetzbuch und Nebengesetze, 60. Auflage, Verlag C.H. Beck München 2013, von Dr. Thomas Fischer, Richter am Bundesgerichtshof Rd. 2, S. 1167
  11. Beck'sche Kurz Kommentare - Strafgesetzbuch und Nebengesetze, 60. Auflage, Verlag C.H. Beck München 2013, von Dr. Thomas Fischer, Richter am Bundesgerichtshof Rd. 3, S. 1167-1168
  12. Beck'sche Kurz Kommentare - Strafgesetzbuch und Nebengesetze, 60. Auflage, Verlag C.H. Beck München 2013, von Dr. Thomas Fischer, Richter am Bundesgerichtshof. Rd. 36, S. 1174
  13. Beck'sche Kurz Kommentare - Strafgesetzbuch und Nebengesetze, 60. Auflage, Verlag C.H. Beck München 2013, von Dr. Thomas Fischer, Richter am Bundesgerichtshof. Rd. 36b, S. 1174-1175
  14. Strafgesetzbuch Leipziger Kommentar, Großkommentar, Sechster Band, §§ 146 bis 210, 12. Auflage, Verlag: De Gruyter Recht * Berlin 2009, Seite 1160-1161, Randnummer 1-2