Boylove-Manifest

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Das Boylove-Manifest von jay_h ist ein Online-Dokument aus dem Jahr 1997. Es handelt sich um eine Begriffs- und Positionsbestimmung für Boylover aus der Sicht eines Boylovers. Der Text formuliert eine Ethik der Knabenliebe und schließt mit politischen Forderungen, die das Recht auf freie Meinungsäußerung, die Revision überkommener Vorurteile und Vorstellungen, sowie sexuelle Selbstbestimmungsrechte für Jungen und Boylover gleichermaßen betreffen.

Historischer Hintergrund

Die Formierung einer weltweiten BL-Bewegung im Internet begann Mitte der 1990er Jahre mit der Gründung des englischsprachigen Boychat (1995), des Boylink-Portals (1996) und der Gestaltung eines Symbols der Bewegung durch Kalos (BL-Logo, Februar 1997). Erste Schritte zu einer positiven Selbstidentifizierung waren getan. Die Zukunft erschien ungewiß, zumal viele der ersten Webseiten und Selbstdarstellungen schnell wieder offline gingen.

Dem Text gelang es - und darin dürfte sein Erfolg gelegen haben - mehreren Bedürfnissen der frühen Online-Community bündig Ausdruck zu verleihen: Er ist zugleich

  • Proklamation: Jungenliebe als historisch invarianter Bestandteil der menschlichen (Trieb-)Natur
  • Programmschrift: Entwurf einer allgemein verbindlichen und gesellschaftlich anschlußfähigen Ethik für BL-Beziehungen
  • Politischer Forderungskatalog

Damit wirkte das Manifest, das dem Autor zufolge in einer einzigen schlaflosen Nacht entstand, selbstbefestigend und handlungsfördernd nach "innen" und signalierte zugleich Dialogbereitschaft nach "außen". Es enthält zwar den Passus

»Dieses manifest drückt die meinung seines autors aus. Der boylover existiert nicht. Auch unter boylovern gibt es so viele meinungen wie menschen!«,[1]

ist jedoch in der Wir-Form gehalten und eignete sich dadurch zur Streitschrift einer ganzen Bewegung. In der Folgezeit wurde das Boylove-Manifest in mindestens sieben weitere Sprachen übersetzt. Daneben kursierten unautorisierte Varianten.

Verbreitung und Verweise auf das Manifest

Viele Boylover stellten das Boylove-Manifest mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors auf ihre Seite oder verlinkten das Original.

Durch die rasche Verbereitung rückte das Dokument auch in den Fokus feindlich gesonnener Medien und Organisationen, wobei eine kritische Würdigung weitestgehend unterblieb. Das Manifest diente als Kronzeuge für eine perhorreszierte Gefahr für Kinder durch sog. Pädokriminelle im Internet oder als Extremposition einer allgemeinen sexuellen Libertinage, die den Verfall abendländisch-christlicher Werte besiegeln sollte. Als Präsidentin des kalifornischen Vereins Safeguarding Our Children zeichnet die Psychologin Dr. Nancy Faulkner für mehrere Vorträge über Internetkriminalität verantwortlich, in denen sie den Text erwähnt.[2] Für Samantha Wilson, Bestsellerautorin und Präsidentin von Kidproof USA/Canada, bezeugt die Existenz des Textes die Gefahr einer ungehinderten und selbstbewußten Kommunikation Pädophiler im Internet, die man unterbinden müsse, weil sie zwangsläufig in Absprachen zu sexuellem Kindesmißbrauch münde.[3] Die Sex-Ikone und selbsternannte Sexologin Synthia Esther zitiert in ihrem von christlich-spirituellen Erlösungsphantasien getragenem Programm zur Heilung von Süchten und Besessenheiten das Boylove-Manifest als Beweisstück für kognitive Verzerrungen, denen am besten mit Bibelzitaten gegen die "Blind Mindness" beizukommen sei.[4] Hier steht das Kind als eine Verkörperung bewahrenswerter Unschuld im Zentrum. In einem Seminar zur »Einführung in die Soziologie und Sozialpsychologie des Verbechens« am College of Charleston im Frühjahr 2009 läßt Heath C. Hoffmann seine Schüler das Manifest lesen. Es geht um »Predatory Crime« und »Child Sex Predators«.[5] In einem Artikel der Zeitschrift Child Abuse Research in South Africa über »pädophile Aktivitäten im Internet« fehlt eine Kurzvorstellung des Manifests ebensowenig wie der Verweis auf die »größte organisierte Pädo-Lobby-Gruppe« namens Free Spirits.[6]

Erich Goode und D. Angus Vail behandeln das Manifest in ihrem Buch Extreme Deviance als Beispiel für Irrglauben und gefährliches Verhalten neben Phänomenen wie S/M, Ökofanatismus, dem Glauben an die Höherwertigkeit der weißen Rasse und extremer Fettleibigkeit.[7] Josef Spiegel, US-amerikanischer Psychologe, erwähnt das Boylove-Manifest in seinem Buch S.A.M. - der Titel steht gleichzeitig für ein von ihm entwickeltes Modell zur Theorie und Praxis in Bezug auf »Sexual Abuse of Males«.[8] Markus Dieth zitiert den Text von jay_h mehrfach in seiner Studie Die Sehnsucht nach dem Knaben,[9] die der Individualpsychologie Alfred Adlers verpflichtet ist.

Kritik aus den eigenen Reihen

Der Autor des Manifests engagiert sich seit 2003 nicht mehr in der BL-Community, er hat sich persönlich für einen heteronormativen Lebensweg entschieden. Von seinem Manifest hat er sich bislang nicht distanziert.

Gelegentlich wurde kritisiert, daß das Manifest den verantwortungsbewußten Boylover zu sehr in einer Mentorrolle fixiere, die weder den Wünschen noch den Bedürfnissen der Beziehungspartner zwingend entspricht. Hier spielt eine Rolle, daß zumindest im deutschen Sprachraum eine Vermittlung zwischen lokal gebundenen, eher naturwüchsigen Pädo-Selbsthilfegruppen und Gesprächskreisen mit oft ausgeprägterer Erfahrung und Selbstreflektion einerseits und der jungen BL-Gemeinde im Internet andererseits zur Zeit der Entstehung des Manifests noch nicht gegeben war. So spiegelt der Text auch einen gewissen Idealismus wider.

Eine kritische Würdigung des Boylove-Manifests findet sich im Text von SnoopyBoy: Boylove, ein Kunstbegriff. Er macht insbesondere auf den apologetischen Charakter des Ansatzes aufmerksam, der aber auch anderen Selbstdefinitionsversuchen anhaftet.

Externe Links


  1. Vgl. Boylove Manifest, Abschn.1
  2. Brief Overview of Pedophiles on the Web. Submitted by request to the Child Advocacy Task Force on The Internet Online Summit: Focus on Children Washington DC December 1, 1997
  3. Internet-Initiated Sex Crimes Against Children. How online relationships turn to abuse
  4. Will You Let Me Touch You? (Pedophilia)
  5. Sociology 341: Criminology, College of Charleston, Spring 2009
  6. L. Campher & C. Bezuidenhout: A criminological overview of paedophilic activities on the Internet. Child Abuse Research in South Africa, 2007, 8(1), 27-34
  7. Goode, Erich & D. Angus Vail, ed. (2008). Extreme Deviance. Pine Forge Press: Williamette.
  8. Spiegel, Josef. (2002). Sexual Abuse of Males: The SAM Model of Theory and Practice. Routledge
  9. Dieth, Markus (2004). Die Sehnsucht nach dem Knaben. Die männliche Zuneigung zu Knaben aus individalpsychologischer Sicht. Asanger: Kröning.