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Stichwort Kindheitsforschung

Kindheitsforschung?

Beim Surfen im Internet (über google) gelangte ich auf eine Fülle von Verweisen, die sich pädagogisch/soziologisch - geisteswissenschaftlich mit Kindern beschäftigen – wie könnte es anders sein. Aber ein auch nur halbwegs abgegrenzter Forschungsgegenstand KIND/kleiner Mensch/Nachwuchs bildete sich nicht ab. Die Domäne von Forschungen über Kinder verbleibt im Forschungsfeld Entwicklung (Psychologie) oder Erziehung/Sozialisation (Pädagogik).

Sozialisationsforschung aber verweist – eigentlich - überall auf eine andere – weitere- Differenzierungsmöglichkeit. Immer ist von unterschiedlichen Sozialisationsfeldern die Rede. Immer wird betont, daß in ihnen Unterschiedliches mit und durch Kinder geschieht. In der Sozialisationsforschung erscheint Pädagogik/Erziehung als ein besonderer Bereich, der in Sozialisation nicht voll aufgeht. Unsere Gesellschaften haben ein sehr umfassendes, differenziertes Bildungssystem FÜR Kinder entwickelt. Wir wissen auch, daß all das, was kleine Menschen sozialisiert und womit sie sich hineinarbeiten, hineinleben, hineinsozialiseren in bestehende Lebensbedingungen NICHT aufgeht im Bildungssystem. Kinder wachsen heran, sozialisieren sich selbständig in und durch die unterschiedlichsten Felder: Haushalt/Gegenstände/Gesten/Sprache - Familie, Nachbarschaft, Geschäfte, Spielgruppen und Spielorten, Vereinen, geselliger Öffentlichkeit – Veranstaltungen, Kursen, Interessengruppen, Kindergarten, Hort, Schule.

Wir wissen ja nur, daß ALLES, was die Umwelt des Kindes ist, dieses Menschenkind „irgendwie“ auch sozialisiert. Man weiß auch, daß nicht ALLES, was DA ist – also was der Nachwuchs einfach vorfindet, von einem Kind als sozialisations-anregend oder monokausal als mitprägend wahrgenommen und lernend verarbeitet wird. Die Intentionen der sich helfend bemühenden Erwachsenen bei diesem sozial-werden-sollen von Kindern stoßen immer auch auf ihre „vitalen Widerständigkeit“. Das alte Denkmodell des „leeren Kopfes“, der zu füllen sei oder sich monokausal einfach mit den „Anregungen“ und gestalteten Intentionen des Vorhandenen füllt, entsprach den Erfahrungen wenig oder nur teilweise. Die These: „vom Kinde aus“ versuchte diese Widerständigkeit/Eigenständigkeit jedes Kindes in den Blick zu bringen – um besser, bewusster und erfolgreicher Erziehungs- und Sozialisationsprozesse initiieren, gestalten und kontrollieren zu können. Was aber ist anders, was ist das „andere Subjekt“, der andere Forschungsgegenstand der Kindheitsforschung im Verhältnis zur etablierten Pädagogik und Entwicklungspsychologie?

Auch die Sicht-RICHTUNG von Kindheitsforschung scheint unklar in ihrer Abgrenzung, kommt nicht wirklich heraus aus ihrer „Vereinnahmung“ des pädagogisch-psychologischen Entwicklungsparadigmas gesteuerter, zu steuernder, zu pädagogisch zu beurteilender Entwicklung von Kindern. Immer gibt es eine „Richtung“, einen orientierenden Zeitpfeil; auf ein Ziel hin orientierende Betrachtung. Aber ist das „Ziel“ als Orientierungsmarke klar, wenn man „den gebildeten, kompetenten integrierten Erwachsenen“ ideal zu benennen sucht?

Die Sozialisationsforschung hat diesen „Zeitpfeil auf ein Ziel hin“ – erst einmal - so nicht. Sozialisation geschieht einfach und immer „irgendwie“. Man kann als Mensch gar nicht NICHT sozialisiert sein/werden. Ein Mensch „vermenschlicht“, sozialisiert sich, weil er mit Menschen zusammen aufwächst. Das gelingt nur durch unmittelbaren Kontakt, Einleben in konkreter Umwelt mit anderen Menschen zusammen und Verständigungsmodi miteinander. Sonst stirbt das Kind – oder wird „wildes Kind“. Und all das geschieht immer in einer unmittelbaren kulturellen Umwelt des Kindes: mit andern Menschen, mit Gegenständen, Dingen, Sprache, Umgangsweisen unter konkreten Menschen und mit den Dingen und ihren Verhältnissen zueinander. Und all dies ist speziell, immer auch persönlich geprägt durch die anwesenden Personen UND durch die Annahme, Aufnahme, Ignoranz, Mitgestaltung des „Aufnehmenden“.

Indirekt anwesend sind aber auch diffuse Andere und die „Toten“: Fast alle vorgefundenen und nun genutzten Gegenstände und Verhältnisse zu ihnen und zueinander sind „geronnene gesellschaftliche Arbeit“ anderer, sind oder werden verfügbar für die Hineinwachsenden durch unterschiedliche Vergesellschaftungsformen. Das Meiste von den Dingen ist heute gekauft, anderes aber ist Geschenk oder Leihgabe oder Selbstverfertigtes (also mit persönlichem Mehrwert). Straßen, Wohnhäuser, Schulen, Fabriken und büros, Bahnen … „sind einfach bereits da“. Das prägt den Umgang mit, gestaltet ihn mit aus im Zusammenleben mit anderen Menschen (Eltern, Geschwister, Verwandtschaft, Freunde (des Kindes oder/und der Familie).

Ich schreibe das deshalb, weil so sichtbarer wird, WIE VIEL sich da EINFACH sozialisiert und sozialisiert wird, ohne das es besonderer, kenntlicher Intentionen bedarf. Deutlicher wird so vielleicht auch, daß es gar nicht geht, ALLES was an Sozialisationsanregung, Bahnung, Eigensozialisation (das wäre der „Widerstand“) „automatisch“ mit stattfindet, intendieren und planen und dann kontrollierend auf Sozialisationserfolg bewusst gestalten zu wollen. Es sei denn totalitär-restriktiv (pädagogisch ganzheitlich!!!) und damit extrem laborhaft/kaserniert. Und selbst dann wäre nicht steuerbar, daß das Bewusstsein eines konkreten Kindes, welches solcher Tortour unterworfen würde, nun DAS Bewusstsein und DAS Verhalten und DIE Wahrnehmung und nur DIE „Denke“ entwickeln MÜßTE, die dabei intendiert, tortourhaft geplant und gestaltet wurde. Es bleibt ein immer „offenes MEHR“ bei Sozialisation, eine Widerständigkeit, die das Individuelle jeden Kindes ausmacht. Es gibt keinen engen Determinismus im Sinne von intendierter „Ursache“ und eindeutiger Wirkung/Verarbeitung. Auch in der Pädagogik nicht. Aber es kann Annäherungen an die „Überrnahme“ von Intendiertem geben. Das versucht persönliche Beziehung. Das versucht das Bildungssystem als organisiertes, methodisches Lernen..

Der Forschungs- und Aussage-GEGENSTAND von Kindheitsforschung ist das KIND/KINDHEIT. Soll aber Kindheitsforschung etwas sein, das eine Eigenständigkeit (also etwas deutlich unterschiedenes) GEGENÜBER pädagogischen und entwicklungspsychologischen Aussagen und Forschungen zu KIND/KINDHEIT hervorbringen kann, dann ist der Gegenstand als KIND/KINDHEIT ungenau gefasst.

Es ist also nicht verwunderlich, daß sich in den wenigen vorliegenden Ansätzen von Kindheitsforschung (Prof. Manfred Liebel, …. ) immer auch pädagogische Intentionen (Partizipation, Citisenship) „einschleichen“. Das scheint mir deshalb so zu sein, weil heutige Kindheit/KIND eine historisch hergestellte, über historische Kämpfe von Menschen in und mit ihrer historischen Situation (sie hatten/haben ja keine andere) materiell gewordene pädagogische Kindheit ist; Schulkindheit. Von der Schulkindheit her ist eine Entwicklung angebrochen, die DIESE Kindheit weiter ausdifferenziert, forciert und ein BILD von Kind/Kindheit auch materiell etabliert hat, hinter das es kein „Zurück“ geben kann. Es gibt die Gebäude, die Berufe, die Institutionen und die Gesetze (Schulpflicht, Erziehungsauftrag der Eltern, …).

Von der Schulkindheit her griffen Vorstellungen von KIND in die Familien ein und veränderten auch dort die Sicht auf Kinder. Auch das familiäre Kind ist heute anders als vor 300 Jahren – oder in Ländern, in denen dieser Prozeß der Pädagogisierung/Verschulung noch nicht voll entwickelt ist.

Unter dieser – im Wesen - Schulkindheit liegt sozusagen nicht verschüttet oder verdrängt oder bereits weitgehend zerstört das „eigentliche Kind“. Es gibt ja weder DAS natürliche Kind (außer biologisch-generativ) noch DIE natürliche Kindheit. Alle Kindheiten spielen sich ja in Kulturen und ihrer Geschichtlichkeit ab, in speziellen, mit jeweils sehr konkreten Wirkmächtigkeiten auf die Kinder und durch sie. Das sind dann die verschiedenen Kindheiten in ihrer unterschiedlichen Wirklichkeit – für sich selber und für deren Gestalter/Beobachter.

In der „links-emanzipatorischen“ Rezeption von Ph. Aries bahnbrechender Untersuchung zur „Geschichte der Kindheit“ kehrt dieses Verständnis/Mißverständnis bis heute wieder. Irritierend war immer wieder, daß Ph. Aries ein sehr konservativer Historiker war – scheinbar gegen seine eigenen Erkenntnisse. Ich halte seine Untersuchung weiterhin für den Beginn und DIE Basis einer eigenständigen Kindheitsforschung. Und ich will zeigen, daß sein Gegenstand KIND ein „anderer Blick“ ist, den es weiterhin fruchtbar zu machen gilt. Dabei steht uns im Wege: dieses „darunter“, dieses „eigentliche Kind“, daß Aries gar nicht „sieht“ geschweige denn thematisiert.

Beschrieben wird, wie sich durch die Schule ein eigenständiger Bereich mit eigener Sicht und Logik etabliert, dessen Forschungs-Objekt die Kinder sind. Und wie dieser Bereich Schule/Erziehung nun aus „eigener Logik“ ein anderes Kind schafft und voraussetzt, das pädagogisch bearbeitbar wird. Es entsteht dieses SchulKIND, diese Kindheit parallel zur Kindheit in anderen Bezügen, in denen das Kind auch lebt, sich sozialisiert und auch „was lernt“.

Es wird etwas hergestellt über die Logik des Schulbereichs, was dann Folgen hat auf Wahrnehmung, Umgang, Beschreibung von dem, was KIND/KINDHEIT ist UND sein sollte – weit über die Schule hinaus. Heute scheint diese Sicht fast keine andere - parallele - zuzulassen. Gerade deshalb ist eine eigenständige Kindheitsforschung so „unklar“ und schwierig.

Der Bereich von Schulkindheit schiebt sich ja zwischen die bestehen bleibenden Bereiche Familien-Kind – öffentliches Leben-Kind als „Sonderbereich“. Ablenkend von dieser Sicht hält sich hartnäckig das Bild des „Funktionsverlustes der Familie“ und der Öffentlichkeit, also einer ÜBERNAHME von Funktionen durch das Erziehungs- und Bildungssystem, die bisher andere Sozialisationsfelder …. hatten. So ganz falsch ist das nicht, verdeckt aber das NEUE und erklärt es zum allein ALLGEMEIN Orientierenden, allein gültigen Blick. Es entsteht und wurde hergestellt ein weiterer EIGENER Bereich, in dem Kinder, und nun schließlich NUR Kinder systematisch unterrichtet werden und ZUSÄTZLICH sozialisiert.

Das pädagogische Paradigma: Hergestellt wurde und wird immer neu ein besonderer Blick auf Kinder mit einem besonderen Paradigma: Was muß geschehen, was können/müssen wir tun oder lassen, DAMIT Kinder volle (ideale und lohnarbeitsfähige) Erwachsene werden und werden können? Was müssen sie lernen und in welche (einfach laufenden sozialisatorisch bedingten) Entwicklungen und Eigenheiten wollen/müssen wir „lehrend und erziehend“, gestaltend und korrigierend intervenieren? Wie tun wir das so, daß gesetzte, definierte Teilziele (Intentionen) kontrollierbar erreicht werden können? Welche zusätzlichen Bedingungen (der konkreten anderen Sozialisationsumfelder des konkreten Kindes) verhalten sich zur pädagogischen Intention neutral, unterstützen oder behindern die zu gestaltenden Bildungs- und Erziehungsprozesse?

In und zu welcher Zeit kann/soll was stattfinden, möglich sein? Gibt es ein Ende (Schulzeit) von Erziehung/Pädagogisierung?

Ein ergänzender Begriff und sein Diskurs rankt sich um INFORMELLES LERNEN. Dazu ausgiebig Günther Dohmen . Bernd Overwien gibt einen kurzen Überblick zu diesen Ansätzen.

Dohmen S.9 „Ein planmäßig zusammenhängendes, bewusst reflektiertes und gesellschaftlich legitimiertes und überprüftes Lernen in spezifischen, ganz auf Lehren und Lernen spezialisierten Bildungseinrichtungen ist und bleibt eine notwendige Ergänzung des informellen Lernens. Das formalisierte Bildungswesen muss aber seine Aufgaben und Schwerpunkte im Verhältnis zum informellen Selbstlernen der Menschen in konkreten Auseinandersetzungen mit ihrer Umwelt neu überdenken und neu bestimmen.!

Das meine ich mit dem BEZUG der verschiedenen Sozialisationsfelder. Mit Geld gut umzugehen lernt man, wenn man über Geld verfügt. UND wenn man es in Relation erlebt zu geleisteter Arbeit. Über bloß Taschengeld lernt man das nicht, nur unterrichtend erst recht nicht. Was nicht ausschließt, auch darüber unterrichtlich zu reflektieren. Kerus, 5.7.2009