L.I.E. – Long Island Expressway

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Filmdaten
Produktionsland: USA
Jahr: 2001
Regisseur: Michael Cuesta
Besetzung: Paul Dano

Brian Cox
Billy Kay
Bruce Altman

Altersfreigabe: NC-17 (USA)

FSK 12 (DE)


L.I.E. – Long Island Expressway (Alternativ: Long Island Expressway) ist ein US-amerikanischer Independentfilm aus dem Jahr 2001. Der Film thematisiert das Erwachsenwerden und das Erkunden von Sexualität, schildert jedoch vordergründig die Beziehung zwischen dem 15jährigen Howie (Paul Dano) und dem alternden Päderasten Big John (Brian Cox) und gibt somit das facettenreiche und kontroverse Portrait eine Boylove-Beziehung im Werden.

Titel

Der Titel ist bewußt doppeldeutig: L.I.E. ist eine geläufige Abkürzung für den Long Island Expressway, bzw. Interstate 495, der Hauptverkehrsader auf Long Island, an der Howies Wohnort liegt. Zugleich spielt er auf engl. Lie (Lüge) an, ein Hauptmotiv des Films.

Handlung

Nach dem Unfalltod seiner Mutter sucht der 15jährige Howie Blitzer Trost und Geborgenheit bei seinem einzigen Freund Gary. Gary ist Kleinkrimineller und Anführer einer kleinen Bande, die aus purer Langeweile in Häuser der Nachbarschaft einbricht. Die beiden fühlen sich zueinander hingezogen, aber ihre erotischen Gefühle gewinnen keine Eindeutigkeit. Gary will mit Howie gemeinsam nach Kalifornien durchbrennen. Er stiftet ihn zu einer gemeinsamen Diebestour an. Bei ihrem Einbruch werden sie jedoch vom Hausbesitzer, der zur selben Zeit im Obergeschoss eine Geburtstagsparty feiert, beinahe erwischt: Howie wird bei der Flucht eine Hosentasche abgerissen. Die beiden erbeuten zwei wertvolle Pistolen aus dem zweiten Weltkrieg.

Der bestohlene Big John fährt mit dem erbeuteten Stofffetzen auf der Suche nach dem Jungen durch die Straßen und schließlich zu einem Rastplatz am L.I.E., wo er Gary vermutet. Der Rastplatz dient, wie erahnt werden kann, als Straßenstrich. Gary und Big John kennen sich offenbar; der Junge verrät Big John den Namen seines Freundes und beschuldigt Howie, den Diebstahl angestiftet und die Pistolen bereits verkauft zu haben. Big John trifft Howie in einem Restaurant, spricht ihn auf französisch an und gibt vor, ein Bekannter seiner toten Mutter zu sein. Er plaudert mit ihm über Gedichte und beeindruckt Howie mit seinem Traumwagen, einem Oldsmobile 442. Auf der Heimfahrt konfrontiert er Howie schließlich mit dem Diebstahl. Howie verspricht, die Pistolen wiederzubeschaffen. Als Howie Gary besuchen will, ist dieser nicht zuhause: er dringt ins Haus ein und findet eine der beiden Pistolen. Zur gleichen Zeit bricht Gary in Howies Wohnung ein, das von dessen Vater, einem korrupten Bauunternehmer, gerade verlassen wird. Gary stiehlt das in einer Schublade versteckte Geld und verschwindet für immer.

Howie bringt Big John die Pistole zurück, der sich jedoch damit nicht zufrieden gibt und ihm einen Preis für die fehlende zweite nennt: 1000 Dollar. In seiner ausweglosen Lage bietet Howie an, die Schuld abzuarbeiten, worauf Big John ihn mit den Worten: »Was hast du, das 1000 Dollar wert wäre«, in die Wohnstube führt und ihm dort zu den Bildern eines Blow-Job-Pornos ein eindeutiges sexuelles Angebot macht. Howie geht allerdings nicht darauf ein. Big John lebt mit seinem verflossenen, nunmehr 19jährigen Geliebten zusammen, der ihm nach dieser Szene ins Gewissen dringt: er solle sich schämen. »Ich schäme mich ja, ich schäme mich immer«, antwortet Big John.

Big John verfolgt Howie; beide unternehmen Spritztouren und kommen sich in Gesprächen näher.

In einer Parallelhandlung wird das unternehmerische Scheitern des selbstsüchtigen Vaters von Howie, der für seinen Sohn keine Zeit hat, bis zur rollkommandohaften Verhaftung durch das F.B.I. verfolgt. Howie seinerseits weiß wenig von den Schwierigkeiten, in denen sein Vater steckt. Als er das Haus verlassen vorfindet, glaubt er, sein Vater wäre mit seiner neuen Geliebten durchgebrannt und habe ihn im Stich gelassen. Auf dem Polizeirevier, auf das er nebst Garys Freunden zur Klärung eines neuen Einbruchsfalls gebracht wird, wartet er lange Zeit vergeblich auf jemanden, der ihn abholt. Schließlich taucht Big John auf, der ihn nach kurzem vertraulichem Gespräch mit dem Polizisten zu sich nach Hause holt.

Scott, Big John's Ex, wird gebeten, vorübergehend in ein Hotel zu ziehen. Als er seine Sachen packen will trifft er auf Howie, der sich in seiner neuen Bleibe umschaut und dabei Fotos entdeckt, die Gary und einen unbekannten, weitaus jüngeren Knaben in erotischen Posen zeigen. Verzweifelt und traurig über seinen Rausschmiss macht Scott Howie eine Szene, in der er ihm vorwirft, sich in ein gemachtes Nest zu setzen und ihm Big John wegzunehmen. Es folgt eine wortlose, symbolisch aufgeladene Szene, in der Big John den bartlosen Howie mit einem klassischen Rasiermesser rasiert. Immer noch im Glauben, sein Vater hätte ihn verlassen, sucht Howie bei Big John Trost und versucht nun seinerseits, ihn zu verführen. Jetzt erst erfährt er von der Verhaftung seines Vaters und bricht daraufhin in Tränen aus. Big John lässt ihn in seinen Armen ausweinen, richtet ihm das Bett; nachdem Howie sich schlafen gelegt hat, singt Big John »Danny Boy«, eine irische Volksweise, zu der er sich selbst am Klavier begleitet.

Am nächsten Morgen bereitet Big John das gemeinsame Frühstück. Er hat ein Treffen mit Howies Vater im Bundesgefängnis arrangiert. Vor dem Gefängnistor ist Howie unschlüssig, ob er seinen Vater sehen will; Big John ermuntert ihn mit dem berühmten Zitat aus der Abschiedsszene von Casablanca. Er gibt ihm Taxigeld für den Rückweg und lässt ihn zu den lautgedrehten Klängen der U.S.-Marines-Fanfare einmarschieren. Howies Besuch und Aussprache klärt die Fronten zwischen Vater und Sohn. Big John ist unterdessen zum Autobahnrastplatz, wo die Jungen auf ihre Freier (s.a. Chickenhawks) warten, zurückgekehrt. Während er sich aus dem Fenster lehnt, um mit einem Jungen zu verhandeln, kommt Scott vorgefahren, richtet seine Pistole auf seinen ehemaligen Liebhaber und erschießt ihn.

Der Film endet mit dem Eingangszitat Howies auf der Brücke über dem Highway:

»L.I.E. - es gibt die Fahrspuren nach Osten, es gibt die Fahrspuren nach Westen. Und es gibt die Fahrspuren, die direkt in die Hölle führen. Eine Menge Leute sind dort gestorben [...] Ich pass auf, dass er mich nicht kriegt.«

Rating

Von der US-amerikanischen Motion Picture Association (MPAA) wurde der Film zunächst als NC-17- oder x-rated eingestuft, obwohl die üblichen Kriterien für eine solche Deklaration (Sex- oder Gewaltszenen) fehlen. US-Amerikaner unter 18 Jahren durften den Film nicht sehen. Zwar legte der Verleiher Lot 47 Berufung gegen die Einstufung ein; das Urteil, in dem Kritiker eine Abstrafung für den kontroversen Plot erkennen wollen und das zu erheblichen Publikums- und Gewinneinbußen führte, wurde jedoch erst ein Jahr nach Kinostart aufgehoben. Die DVD unterliegt in den USA heute keinen Beschränkungen. In Deutschland ist der Film ab 12 frei zugänglich.

Auszeichnungen

Obwohl es sich um das Debut eines vergleichsweise unbekannten Werbefilmers handelte und der Film nicht eben mit großen Stars aufwartet, wurde er gefeiert und mit vielen Auszeichnungen bedacht. L.I.E. gewann den renomierten Independent Spirit Award in zwei Kategorien (u.a. Paul Dano als bester Debut-Schauspieler). Für seine Darstellung des Big John gewann Brian Cox mit dem Satelite Award einen bedeutenden Medienpreis. Neben weiteren Kritikerpreisen räumte der Film insbesondere auf diversen Schwul-lesbischen-Filmfestivals ab: in Mailand, Los Angeles und Kopenhagen wurde er zum besten Film gekührt, in Turin und Barcelona erhielt er Jury-Preise.

Öffentliche Aufnahme und Interpretationen

Wie in den USA ist L.I.E. auch hierzulande von der Kritik allgemein gut aufgenommen und nicht nur aufgrund seiner cinematographischen Qualitäten hoch gelobt worden. Frank Brenner hebt die Poesie seiner Bilder und Sprache und insbesondere die »äußerst zärtliche«, auf »erstklassige Weise komponiert[e]« Szene hervor, in der Big John Howie rasiert (schnitt.de). Der Regisseur verstünde sich darauf, in »kurzer Zeit und mit klaren Bildern Geschichten« zu erzählen (Berliner Zeitung). Prägnanz und Präzision werden hervorgehoben (artechock, CineMan). Michael Cuesta benötige »keine verspannten Selbstbeweise handwerklicher Könnerschaft, aber auch Sentimentalität und Voyeurismus nicht.« (Berliner Zeitung)

Überwiegend ist der Film als gelungenes Coming-of-age- bzw. Initiationsdrama gewürdigt worden (CineMan, Standard, TAZ, artechock, StN), allerdings wird dessen klassische Perspektive dadurch konterkariert, dass auch der Charakter des "Initiators" Big John eine Entwickung erfährt, die zu einem wesentlichen Thema wird. (NZZ)

»Natürlich geht es auch um Pädophilie«, wie der Kölner Stadtanzeiger konstatiert, und angesichts der nicht zu leugnenden Tatsache, dass der Film die Beziehung eines 55jährigen zu einem Teenager ins Zentrum rückt, ist besonders interessant, inwieweit die Missbrauchsfigur die Kritiken dominiert. Dass ein sittenmoralischer Fundamentalismus auch auf das ästhetische Urteilsvermögen durchschlagen kann, zeigt eine vereinzelte Stimme, nach der es sich bei L.I.E. um die bloße »Aneinanderreihung von Reizthemen«, um »Pseudo-Fimkunst« handelt, wobei »Pädophilie und Inzest [...] wie Kavaliersdelikte wirken« (Cinema). Nicht weniger ignorant titelte die FAZ: »Ein Maffiaboß, der kleine Jungen mag, und ein Fünfzehnjähriger, der einen Beschützer sucht«, angeblich befasse sich L.I.E. mit »Kindheit und Trauma«. Eine andere Rezensentin spricht von »Liebesdingen und deren Missbrauch«, also von der »zarte(n) Bonnie-and-Clyde-Romanze«, die sich in ihren Augen zwischen Gary und Howie anbahnt, einerseits - von der bis zuletzt spannenden Frage, »ob der sympathische alte Mann die grauenvolle Tat begehen wird« andererseits (CineMan). Bedauerlich sei, dass durch die staatliche Zensurinstanz in den USA »eine wertvolle Diskussionsgrundlage für Eltern (!) und Kinder (!) verloren« gehe (CineMan). Um der Blendung des Missbrauchsbegriffs zu entgehen, bemühen sich etliche Kritiker, Big John als Päderasten (Tagesspiegel, StZ, artechock) oder »schwulen US-Marine« (Berliner Zeitung) zu charakterisieren, Matthias Heine sieht sich gar genötigt, eine Psychopathologie des Ephebophilen nach gewohntem Muster zu liefern: Big John wird »nicht nur keine Kinder haben, sondern auch nie in einer echten partnerschaftlichen Beziehung leben können«; er sehe in Howie die »noch unverpuppte Larve des ebenbürtigen liebenden Gegenübers, vor dem der Ältere, wie alle Ephebophilen, unbewußt auf der Flucht« sei (Welt).

Die Gestalt des Big John ist das zentrale Faszinosum fast aller Kritiken, wobei entweder seine Entwicklung vom »schmierigen Päderasten« (Mopo) zum »Quasivater« (TAZ), »Ziehvater« (StZ) imponiert, also die Entdeckung seiner genuin »väterliche(n) Seite« oder die charakterliche Ambivalenz: »eigenwillig flirtender Kinderficker als auch ebenso seltsam fürsorglich« (TAZ). Der Film gönne »die Söhne den Väterlichen«, wie Jan Brachmann in Abwandlung eines Brecht-Zitats behauptet (TAZ), und tatsächlich folgen fast alle Rezensenten der Eigeninterpretation des Regisseurs, nach der Big John sich in der Beziehung zu Howie einen Vaterwunsch erfüllt (Vgl.: NZZ). Vereinzelt wird aber auch die »warmherzige, freundschaftliche Beziehung« und die Tatsache gesehen, dass Big John und Howie mit ihren gemeisamen, im Milieu der amerikanischen suburbs ungewöhnlichen Interessen für Poesie und vernünftige Gespräche »ungleiche Verbündete« seien (KStA). Unfaßbar facettenreich schildert Wolfgang Lasinger Big John als eine zwischen »Vater, großem Bruder, lebensklugem Berater und sensiblem Verführer« oszillierende Gestalt, die »eine an die Antike gemahnende Sinnenfroheit, Gelassenheit und Souveränität, einen Epikuräismus« ausstrahle (artechock).

Ein weiterer Topos der Kritik ist das suburbane Amerika, das als »drückendes Vakuum« von »unentschiedener Klebrigkeit« (TAZ) beschrieben wird, als puritanisch (artechock), gleichförmig, so langweilig wie sauber (MovieNet) und kulturell verarmt (KStA). Nach Jan Brachmann verstört Cuesta »zielsicher die kollektive Psyche einer ganzen Nation«, für Dominik Kamalzadeh verkörpert der »mysteriöse« Big John »die verdrängten Seiten der US-Gesellschaft« (Standard) und für die Süddeutsche ist dem Filmemacher in der Figur des Big John »eine der subversivsten Charakterstudien des amerikanischen Machismo« gelungen.

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