Benutzer:Wesselin/Bruchstücke

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Pädophilie ist nicht gleich Pädophilie. Soll heißen: nicht die Tatsachen, denen Pädophilie als Signifikant zugeordnet wird, interessieren hier. Es geht nicht darum, die strafrechtliche Pönalisierung in der Sphäre des Rechts aufzuhellen oder zu hinterfragen. Auch nicht darum, dem Wegweiser des Rechtsguts auf das Territorium der Sexualität oder der Psychologie zu folgen. Wie bei einem Palimpsest wäre Schicht um Schicht der kruden Bedeutungsmaterie freizulegen und abzutragen, die an der Pädophilie als Kulturprodukt, als "Diskursmasse", als Idee webt. Das ist das Projekt einer Archäologie - durchaus einer, die sich an den denkwürdigen Fundstücken erfreut. Es ist das Projekt ihrer Ausstellung. Es ist natürlich auch ein Puzzlespiel.

Warum geht Pädophilie nicht - und warum ist Pädophilie so faszinierend? Die erste Frage gegen Ende: es wäre eine Pädophilie als Aporie zu beschreiben, oder - mit Foucault - genau  d e r  Punkt zu treffen, an dem ein triumphalistischer Sexualitätsdispositiv an die Grenzen des alten Allianzmodells stößt. Die zweite Frage ist berückender: und sie führt auf das Feld der Ästhetik. Gemeint ist weniger das Kind oder das Spiel: die Schönheit des zum Mitspieler Erkorenen steht außer Frage. Gemeint ist die Konstellation, weil sie als Idee und Faszinosum ihr ästhetisches Komplement aktualisiert: das Sublime (das Erhabene). In diesem Vorstellungsraum soll sich Pädophilie als tragisches Geschick (nicht Schicksal!) vollenden.

Es ist klar, dass solche Überlegungen auch eine Antwort auf das Scheitern erfahrungswissenschaftlicher Vernunft in diesem Bereich sind. Sie setzen den Umschlag von Aufklärung in Mythologie voraus, wechseln den Schauplatz auch aus Unlust, einen Kampf gegen Windmühlen auszutragen. Es wird überhaupt nicht mehr gekämpft, denn es gibt keine ernstzunehmenden Gegner. Eine Politisierung würde binnen Kürze der Pädophilie ein glückliches Ende bereiten, aber sie ist nicht in Sicht. Die Behauptung einer (soziokulturellen und sozialstrukturellen) Unmöglichkeit und der (ästhetische) Wille zur Tragik, der das Unmögliche als möglich voraussetzt und somit immer neu imaginiert, treten in ein Spannungsverhältnis, sind ohne einander nicht zu haben, befeuern sich gegenseitig. In diesem Reizzirkel Pädophilie gibt es kein Richtig und Falsch, keine Guten die böse sind, keine Bösen die gut sind, keine Fronten und kein Außenvor, nur allgemeine Gefangennahme ... und vielleicht einen Sprengmeister.

Gewährsleute, vorläufig? Wenige: Michel Foucault natürlich. James R. Kincaid. Diederik Janssen. Infrage kommendes Material? An Geschichte und Geschichten: potentiell alles.


Bruchstücke zu einer Archäologie der Pädophilie

work in progress · 05·20·08
Il n´y a pas de hors-texte.
— Jacques Derrida
Il n´y a pas de hors-texte ?
— Jacques Derrida

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Namenlose Liebe · Das Elend der Empirie (1): Womanizing Boys · Das Elend der Empirie (2): Queering Kids · Es ist nicht anders als ihr denkt, denkt es euch anders · Geschichten erzählen · ... für Dummies

 



James Davidson liest Michel Foucault: »A Heart-warming kind of tragedy«

  • A heart-warming kind of tragedy:   »I have called it Foucault's tragedy, because the story conforms so much to the tragic plot, but this is not, I think, a sad kind of tragedy, the tale of a once-muscular intellectual athlete fading in his last years and failing to match his own heroic intellectual standards, but the heart-warming kind of tragedy, the one where the ambitious hero tries to transcend the world and time and finds himself only too human, entangled in the real, in silly human things like friendship and what people think of him. It is the kind of story that leaves the hero humbled but not, I think, humiliated.« (James Davidson, The Greeks & Greek Love, 2007)
ABB.3 Michel Foucault mit Hut und Studenten in Berkeley, kurz vor seinem Tod

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Michael Horncastle in Japan

  • A heart-warming kind of tragedy:   Die Ideologie der pädophilen Tragik sinnt auf den Sturz des zauberhaften Jungen. Sie demütigt ihn, weist ihm die zweite Reihe, von wo aus er neue Solisten seine Lieder singen hört, stimmt tributes auf einen Überlebenden an. In Wahrheit aber bedarf es nur einer leicht veränderten Optik, die den Gefallenen liebenswerter macht als er es je war – und seine Schönheit leuchtet im Bilderbuch einer Germaine Greer.
ABB.4 Michael Horncastle in London, nach dem Stimmbruch, Mai 2008

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Hugo von Hofmannsthal verklärt Oscar Wilde

  • A heart-warming kind of tragedy:   Oscar Wildes Wille zum Tragischen hätte ein ruhmlos-kitschiges Ende genommen, wären da nicht »Scharfsinn, Großzügigkeit und ein geschlechtsloser Intellekt« (Joyce) und die »nachprüfbare und elementare Tatsache, daß Wilde fast immer recht hat« (Borges). Dummheit und Seichtheit waren die schlimmsten, wenn nicht einzigen Laster. Ungeheuer oben, als er den geheimen kontradiktorischen Leidenschaften seiner Epoche Gestalt gab – ungeheuer konsequent, wie er sie in seinem  F a l l  exemplarisch versöhnte. Sie zu denunzieren, lag ihm fern. Vertraut mit einer condition humaine, die von der Antike bis in seine Zeit reichte, war er dem Kind so nah wie dem Autor der Justine oder Gilles de Rais, die ihm angenehmere Nachbarschaft verhießen als die Charaktere erbauungsliterarischer Dutzendware. Utopie: Erfahrung intensiver Freude und – zuletzt – intensiven Leides allein durch das Spiel, dessen Held und Regisseur er zugleich war. Zärtlicher Riese, kolossal und florett, augenzwinkernd demütig, Petronius und Franziskus in einem, ob maskiert bis zum Schluß oder zeitlebens ohne Masken, einerlei. Aber unmöglich, sich Oscar Wilde im 20. Jahrhundert, dem Zeitalter ganz anderer Extreme und einer vollends trostlosen Tragik zu denken. Sein Tod, am Ende der vergleichsweise glücklichen viktorianischen Ära, besiegelt das fin de siécle.
ABB.5 Oscar Wilde in Neapel, zwei Jahre vor seinem Tod

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Mythen, Märchen, Metastories

  • - »I'm a boy« -:   Selten war die Moral, der die verführerische Bildwelt des Märchens angeblich Frondienst leistet, derart offenkundig, geht die pädagogische List angesichts der unleugbaren Verheißungen und lustigen Bestrafungen derart in die Irre, wie in Carlo Collodis Pinocchio. Ein abgeschmackteres Ende als die beständig angemahnte Rückkehr des verlorenen Sohnes läßt sich kaum denken. Aber die Verwandlung: Geppettos Augen spiegeln Pinocchios Freudentanz als kairologischen Moment einer durchaus erotisch zu nennenden Erfüllung - während der Ausgang der Geschichte einen Wunsch freisetzt, der sich als double bind erweist: »Ich will das hölzerne Bengele wiederhaben« (Christoph Meckel), aber als Wesen aus Fleisch und Blut. In diesem  A b e r  steckt die ganze Utopie der pädophilen Kontemplation.
ABB.7 Jonathan Taylor Thomas in Steve Barrons Pinnochio-Verfilmung aus dem Jahr 1996.

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Stanley Hall träumt das Paradies und skandiert, erwachend, den Fortschritt

  • Ein Traum Granville Stanley Halls:   Für eine sehr lange und relativ stationäre Epoche in der Geschichte der Menschheit war die Jugend, die Spanne zwischen 8 und 12 Jahren, das Alter der Reife. Warme Klimate begünstigten den Ausbruch aus elterlicher Bevormundung und die Überwindung naturgegebener Schranken. Der Aufstand der Söhne fällt in diese Zeit. G. Stanley Hall ist der erste, der Freud in Amerika seine Aufwartung macht.
ABB.9 Bacchus, der lustige Gott, am Hof des König Midas, in Kurt Schwaens gleichnamigen Singspiel. Aus einem Lehrbuch für die Klassen 5 und 6. Berlin, 1972

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Homo ludens victor

  • Spielen wir Liebe:   In ihrem Artikel über Colin Duffy vergißt Susan Orlean sich selbst. Sie weiß: Zehnjährige brauchen keine Belehrung. Ihre Welt ist perfekt, kreisrund: eine Aneinanderreihung selbstagitierter und ausagierter Ausnahmezustände. Die Momente des Ernstes inmitten ihrer rank goofiness könnten eine Brücke bilden, die zu ihnen und ihrer Welt hinüberführt. Doch Susan Orlean benutzt sie nicht, obwohl es um nichts anderes geht: Wie heirate ich einen Zehnjährigen? Über der Sammlung von Anhaltspunkten, die sich zum faszinierenden Gespinst einer präadoleszenten Welt verdichten, tappt sie in seine Falle: ein ausgeklügeltes und weitläufiges Spinnennetz aus Fischgarn, das ihr Colin Duffy im Hinterhof gesponnen hat. Ein Kichern. Doch Spiderman ist verschwunden. -- Was Susan Orlean betreibt ist keine boyology. Sie proklamiert die Diktatur des neuen Mannes: Homo ludens victor.
ABB.12 Macaulay Culkin auf dem Titel des New Yorker Magazins Esquire, Dezember 1992