Diskussion:Ich-Syntonie

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Probleme mit dem Begriff

Ich erinnere mich, daß Kerus und ich beim Erarbeiten des Vortrags für die AHS-Tagung 2006 den Begriff der Ich-Syntonie zunächst auch benutzten. Wir haben ihn dann aufgegeben und duch Selbstakzeptanz und Ich-Stimmigkeit ersetzt. Das hatte Gründe.

Im Vortrag ging es allgemein um das Modell eines gelungenen Pädo-Coming-Outs. Das schloß Anleihen bei professioneller Psychotherapie und psychologischer Theoriebildung nicht aus: wir haben z.B. mit dem Modell der Syndiastischen Sexualtherapie (Charité - Beier & Ahlers) und der Therapie von Appetenzstörungen die therapeutische "Redlichkeit" ihrer Urheber infrage gestellt (Nicht polemisch, sondern scharf: Im Falle der Behandlung von Pädophilen geht es um die therapiegestützte Herstellung von Appetenzstörungen). Im Rahmen einer Psychotherapie wäre angemessen, den Patienten zu einer ich-syntonen Verarbeitung seiner pädophilen Präferenzstörung zu verhelfen.

So formuliert, wird das Problematische am Begriff deutlich. Der Begriff stammt nicht einfach aus der Psychologie, sondern aus der Psychopathologie, genauer: aus der psychoanalytischen Theoriebildung. Ernest Jones führte ihn 1950 ein. Je nachdem, ob Triebe, Wünsche und Vorstellungen mit den Maßstäben des Selbst (Ich-Ideal) vereinbar sind oder nicht, lassen sie sich als ich-synton oder ich-dyston beschreiben. So weit so gut. Die beiden antonymen Begriffen finden allerdings in der Psychopathologie regelmäßig dann Verwendung, wenn diese Vereinbarkeit per se - als in der Natur der Sache begründet - problematisch, symptomlindernd und nicht -bewältigend, also eigentlich nicht in Ordnung ist. Ich-Syntonie und Ich-Dystonie erscheinen so als Tendenzen auf einem Kontinuum, die die Bewältigung einer Störung, eines Fehlers, einer Krankheit betreffen.

Ich-Syntone Verarbeitung setzt also per definitionem das Vorhandensein einer Perversion (so verortete noch Eberhard Schorsch die Pädophilie) oder mindestens einer sexuellen Präferenzstörung voraus. Deswegen der Satz: »... wäre angemessen, den Patienten zu einer ich-syntonen Verarbeitung seiner pädophilen Präferenzstörung zu verhelfen.« Das war die Formel bei Homosexualtät, als man vor der Störung selbst medizinisch/psychotherapeutisch die Waffen streckte und sie als unheilbar deklarierte. Um schließlich nach Kritik an der Gesetzgebeung und einer fachpolitischen Aufarbeitung auch den Störungsbegriff fallenzulassen. Dann aber war von Ich-Syntonie bei Schwulen nicht mehr die Rede. Nur die Ex-Gay-Bewegung (Narth, Wüstenstrom) gebraucht beide Antonyme und das nicht ohne Grund: selbst wenn eine Ich-syntone Verarbeitungsweise den Betroffenen am ehesten im psychischen Gleichgewicht hält, handelt es sich um Symptombearbeitung, um ein Pflaster, um eine Verkittung, oder - mit Morgenthaler - eine (narzißtische) Plombe. Normal ist das zugrundeliegende - von Natur aus (sic!) - nicht.

Der Begriff muß also genauer beschrieben werden. Und in seinem Kontext belassen werden. Wesselin 14:19, 10. Mai 2009 (GMT)

Danke für die Anmerkungen. Die Herkunft aus der Psychopathologie war mir bewußt, allerdings finde ich die Wortbildung an sich passend wenn es darum geht, mit sich selbst bezüglich seiner Neigung "im Reinen zu sein". Das ist sicher mehr als nur Akzeptanz - ganz nach Wowis es ist auch gut so. Die "Selbst-Stimmigkeit" passt schon eher, dennoch finde ich mit der musikalischen Assoziation "synton" - "symphon" - "im Einklang" den positiven Aspekt besser repräsentiert. Ich-symphon wäre vielleicht ein Kompromiss. Psychologisch böte sich auch selbst-konsonant/dissonant an (Festinger). -- Nignag 21:12, 10. Mai 2009 (GMT)

Das ist mir zu harmonisch. Real bleibt es doch auch bei voller und praktizierter Selbstakzeptanz ganz schön disharmonisch und enorm spannungsreich für mein Ich. Ich muß doch in mein Selbst integrieren, daß ich weiß, das fast niemand akzeptieren würde, wenn er den vollen Umfang oder meinen Sinn in der Beziehung aufdecken kann. Mit dieser Dissonanz muß ich umgehen lernen, sie aushalten. Aushalten muß ich dioch auch die Gefährdung, in den Knast zu kommen, wenn ich real und voll - umfassend stimmig mit mir und dem Jungen leben will. Kerus

Diese Dissonanz stammt ja aber gerade von extern. Und es benötigt einen stabilen (konsonanten) Zustand des Ichs, um sie auszuhalten, welcher sich aus einer internen (sicher stückweise idealisierten) Überzeugung ergeben muß, daß Ich eine Wahrheit habe, die "den vielen draußen" fehlt - eine Überzeugung, letztlich das Richtige zu tun, die genau dann auch noch trägt, wenn es im schlimmsten Fall in den Knast geht. Diese muß daher m.E. mehr sein als "Selbstakzeptanz", die rein rational erfolgen kann und insofern ohne weiteres oberflächlich und instabil bleibt. Es braucht vielmehr auch eine robuste, affektive Einstellung. -- Nignag 20:06, 25. Mai 2009 (GMT)